Bewegende Gedenkfeier für sowjetische Kriegsgefangene zum Abschluss des Umbettungsprojektes auf den Friedhof Untersuhl

Im Richelsdorfer Tal bei Gerstungen befand sich während des Zweiten Weltkriegs das Kriegsgefangenenlager „STALAG IXc“. Unter menschenunwürdigen Bedingungen mussten dort zahlreiche sowjetische Soldaten und andere Gefangene Zwangsarbeit leisten; viele überlebten nicht. Die Grabstätte geriet über Jahrzehnte in Vergessenheit. Im Sommer 2023 wurden die sterblichen Überreste von über 70 jungen Kriegsgefangenen geborgen und anschließend nach Untersuhl überführt. Mit der Neugestaltung der Gedenkstätte auf dem Friedhof Untersuhl erhielten sie nun eine würdige Ruhestätte – als Zeichen von, Versöhnung und Frieden. Abschließend fand auf dem Friedhof Untersuhl am 14. November 2025 die feierliche Gedenkveranstaltung statt. Mit Musik, Grußworten, geistlichen Beiträgen, der Pflanzung einer Linde und der Enthüllung zweier Gedenktafeln wurde das Erinnern an die 70 geborgenen Kriegsgefangenen feierlich begleitet und in die lokale Erinnerungskultur verankert.
In seiner berührenden Eröffnungsansprache begrüßte Bürgermeister Daniel Steffan alle zur Veranstaltung geladenen Gäste, vor allem die politischen Vertreter, die Vertreter der Russischen Botschaft sowie die geistlichen Vertreter. „Wir gedenken der Umstände, warum wir heute hier stehen. Und wir beten für die Seelen der Verstorbenen, die hier beigesetzt sind. Wir beten aber heute auch gemeinsam für Frieden in Europa und der Welt.“ Der Bürgermeister dankte allen, die in vergangener Zeit gemeinsam dafür sorgten, dass die Verstorbenen nun eine würdige Grabstätte gefunden haben.
Als Vertreterin des Landrates des Wartburgkreises spannte Sylvia Hartung – zugleich ehemalige Bürgermeisterin von Gerstungen – den Bogen von der Entstehung und Bedeutung des Kriegsgefangenenlagers STALAG IXc über ihre eigenen Erlebnisse und Bemühungen während ihrer Amtszeit bis hin zum gelungenen Projekt der Umbettung auf den Friedhof in Untersuhl.
Sie blickte zurück in die Kriegsjahre, in denen junge Männer unter Zwangsarbeit litten: „Die Autobahn von West nach Ost musste schnell fertiggestellt werden, um Truppen und Kriegsgerät an die Ostfront zu bringen. Sie galt als ‚kriegswichtig‘. Viele Kriegsgefangene starben damals einen schrecklichen Tod – an Hunger, an Kälte oder schließlich an Krankheit.“
Die Gemeinde Gerstungen habe über viele Jahre versucht, das Lagergelände freizuschneiden und die Gräber wieder sichtbar zu machen, um zu bewahren, was drohte in Vergessenheit zu geraten. Doch dies sei zunehmend schwieriger geworden. Gemeinsam mit der Kriegsgräberfürsorge und verschiedenen Behörden habe man schließlich nach einer würdevollen Möglichkeit der Umbettung gesucht.
Sylvia Hartung dankte allen, die dazu beitrugen, dass das Projekt pietätvoll umgesetzt werden konnte: „Wir haben es geschafft – wir haben den Toten eine würdige Ruhestätte geben können.“
Zugleich sprach sie den Vertretern der Russischen Botschaft ihren Dank für ihr Verständnis aus und fügte hinzu: „Wir bitten um Verzeihung für das, was den Opfern geschehen ist. Abschließend äußerte Sylvia Hartung: „Noch immer verbindet die Autobahn Ost und West. Möge sie nie wieder ‚kriegswichtig‘ sein.“
Der Erste Botschaftsrat Alexej Issatschenko von der Russischen Botschaft in Berlin dankte dem Bürgermeister für die Einladung – gerade in diesen schwierigen Zeiten. Er erinnerte daran: „Mehr als 27 Millionen sowjetische Bürger sind gefallen oder an den Folgen des Krieges gestorben. In Deutschland gibt es über 4.000 sowjetische Grabstätten, in denen rund 700.000 Sowjetbürger ruhen. Diese Grabstätten werden gemäß dem deutsch-russischen Regierungsabkommen zur Erhaltung der Kriegsgräber ordnungsgemäß gepflegt.“ Dafür sprach er seinen Dank aus. Vor allem aber übermittelte Issatschenko im Auftrag der Russischen Botschaft der Gemeinde Gerstungen, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sowie allen an der Umbettung Beteiligten seine herzliche Anerkennung. Jede Kriegsgräberstätte in Deutschland sei, so betonte er, ein Ort, an dem ein Zeichen gegen das Vergessen gesetzt werde – und zugleich ein Ort, an dem man sich trotz aller Belastungen für Versöhnung zwischen Deutschen und Russen stark mache. Abschließend sagte er: „Wir hoffen auch darauf, dass gute und freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder aufgebaut werden!“
Henrik Hug, Geschäftsführer des Landesverbandes Thüringen im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, erinnerte in seinem Redebeitrag an die Dimension seiner Arbeit: In Thüringen gibt es 570 Kriegsgräberstätten, auf denen rund 106.000 Kriegstote bestattet sind. In Untersuhl ruhen nunmehr 116 Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Er erklärte weiter, dass bereits seit 1941 ein sowjetischer Friedhof im vorderen Bereich des Geländes besteht und 2023 weitere 60 sowjetische Kriegstote im Sammelgrab hinter dem Obelisken beigesetzt wurden.
„Es sind nicht nur Zahlen auf den Tafeln, es sind Menschen“, betonte Henrik Hug. Auch seine beiden Großväter seien im Krieg an der Ostfront ums Leben gekommen – in einem verbrecherischen Krieg, der unzählige Familien zerriss.
Besonders bewegend erinnerte er an die berührende Wiedereinbettung im Jahr 2023, bei der auch das Foto von Fjodor A. gezeigt wurde, der 1941 in Gefangenschaft geriet und 1942 im Richelsdorfer Tal verstarb. Im Zuge dieser Exhumierung kam man in Kontakt mit dessen Urenkelin Anastasia S., die bei der Wiedereinbettung ihres Urgroßvaters anwesend war. Dies galt als ein „sehr versöhnliches Zeichen“, das den Auftrag des Volksbundes eindrucksvoll unterstreiche.
In einem nachfolgenden und eindrucksvollen Ritual des Totengedenkens schwenkte Erzpriester Mihail Rahr von der Russisch-Orthodoxen Kirche in Weimar ein Weihrauchfass, dessen Rauchschwaden eine Atmosphäre der Stille und Andacht schufen und der Zeremonie eine besondere spirituelle Tiefe verliehen.
Er sprach: „…dass ihr Gedächtnis ewig währen möge.“ Bei Gott, so betonte er, gerate niemand in Vergessenheit. Die Toten des Krieges mahnten uns zum Frieden. Aus kirchlicher Sicht erinnerte er daran, dass Jesus Christus „der Friede“ sei – ein Friede, der alles Menschliche übersteigt. Zugleich berichtete er, dass bereits vor Februar 2022 rund 60 Prozent der Gemeindemitglieder aus der Ukraine stammten, heute seien es etwa 80 Prozent. Dies zeige, dass der Glaube alle Barrieren überwinden könne und Hoffnung auf ein friedliches Miteinander schenke – trotz aller Hindernisse.
Am Ende seiner Worte richtete Erzpriester Rahr den Blick nach vorn: Die Erinnerung an die Opfer besteht immer die Hoffnung auf Frieden.
Nach den Worten von Erzpriester Mihail Rahr sprach Pfarrer Dr. Michael Beyer von der Evangelischen Kirchengemeinde Gerstungen-Oberellen. In seinem geistlichen Beitrag verband er das Gedenken mit einem Friedensgebet und einem Segen, der die Feier würdevoll abrundete. Er erinnerte zugleich an seine eigenen familiären Erfahrungen: Seine Großväter hätten nur selten von ihren Kriegserlebnissen berichtet. Doch eine Erzählung seines Opas sei ihm bis heute lebendig geblieben: Im Russlandfeldzug kämpften die Soldaten bei schlammigem Wetter, auf dem Boden robbend. Schließlich seien alle gleich gewesen – mit Schlamm bedeckt, kaum voneinander zu unterscheiden. „Wer ist nun der Feind?“, habe sein Großvater gefragt.
Diese Erinnerung führte Dr. Beyer eindringlich vor Augen, dass Krieg Menschen entmenschlicht und Grenzen verschwimmen lässt. Umso stärker sei der Auftrag, im Gedenken an die Opfer für Frieden und Versöhnung einzutreten.
Zum Ende der Feier bat Henrik Hug vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Anwesenden um eine stille Gedenkminute. Darauf folgte die Pflanzung eines Lindenbaumes – Sinnbild für Leben, Hoffnung und Frieden. Zugleich wurden zwei Gedenktafeln enthüllt, die sowohl über die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers STALAG IXc als auch über das Projekt der Umbettung informieren.
Den würdevollen Abschluss bildeten Kranzniederlegungen: sowohl auf den neu gestalteten Grabanlagen des sowjetischen Ehrenfriedhofes als auch auf der Grabstätte der acht unbekannten Opfer im oberen Teil des Friedhofes.
Die Gedenkveranstaltung am 14. November in Untersuhl machte deutlich, dass sich ein Wort wie ein Leitmotiv durch alle Beiträge und Rituale zog: FRIEDEN! Immer wieder wurde daran erinnert, dass die Opfer uns mahnen und zugleich Hoffnung schenken. So wurde die gesamte Feier zu einem eindringlichen Bekenntnis im Zeichen des Friedens.
(kh)

















